Alexander Oetkers Roman „Und dann noch die Liebe“, vorgestellt von Christa Müller
Titel und Cover ließen mich einen reinen Liebesroman vermuten, doch Alexander Oetkers Roman ist viel mehr. Noch bevor der Leser in die Geschichte eintaucht, berührt gleich auf der ersten Seite die Sprache, mit der Erzähler eine Begegnung mit seiner Großmutter schildert. Die Sprache verändert sich immer wieder während des Erzählens, je nachdem, ob der Erzähler sehr persönliche, private Eindrücke beschreibt oder präzise mit den Augen eines Reporters berichtet. Seine Schilderungen erzeugen lebendige Bilder im Kopf des Lesers.
Wir sind mitten dabei und lernen viel! Bekommen einen Eindruck, wie es in Brüssel zugeht bei den vielseitig interpretierbaren Verlautbarungen der Politiker, den leicht abgewandelten Formulierungen der Journalisten, dem Zeitdruck zwischen den Schalten. Wir erleben, wie Reporter von einem zum anderen Brennpunkt rasen und sich dort zurechtfinden müssen. Wie sie konfrontiert werden mit menschlichen Ausnahmesituationen (z. B. im Flüchtlingslager), die wir als Zuschauer der Tagesnachrichten viel distanzierter verarbeiten können.
Es ist schwer vorstellbar, dass so etwas wie Liebe entstehen kann in einem Leben, das abläuft wie im Zeitraffer, zwischen Chaos und Katastrophen. Doch sie geschieht, und der Erzähler findet klare, ehrliche Worte dafür. Auch im Scheitern.
Der Bericht der Großmutter, eingeblendet zwischen den Kapiteln, erinnert daran, dass auch viele Deutsche nach dem Krieg als Flüchtlinge ein schweres Los zu tragen hatten. Dass es Flüchtlinge immer geben wird, und dass sie immer auf die Hilfe anderer angewiesen sein werden.
Eine kleine Kritik möchte ich loswerden: An manchen Stellen scheint Überheblichkeit im Spiel zu sein, auch im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Nicht aufdringlich, mehr ein Hauch. Dennoch, ein Roman, den man gewiss nicht nur einmal liest.
Alexander Oetker: Und dann noch die Liebe. Hoffmann und Campe 2020, 22 Euro
©2020 Kassel liest, präsentiert vom Literaturhaus Nordhessen