Heute lief ich auf meiner Joggingrunde durch einen ungewöhnlich ruhigen Wald, als ich ihn plötzlich hinter mir hörte, den schnellsten Jogger der Welt…
Ich nenne ihn so, weil er einfach unfassbar schnell ist (oder ich unfassbar langsam ;-)). Aber aufgrund der aktuellen Lage und meiner daraus resultierenden Situation, finde ich es durchaus angemessen, heute (und auch in der nächsten Zeit) weiter davon auszugehen, dass nicht ich zu langsam bin, sondern er schlicht und einfach der schnellste Jogger der Welt ist.
Obwohl er mir regelmäßig seit Jahren hier in meinem Wald begegnet, grüßt er mich nie! Er zeigt auch keinerlei Mitleid, wenn er mich überholt und überrundet und mir so ganz regelmäßig zeigt, „wo der Hammer hängt“…
Ich vermute Mal, ich bin ihm für einen Gruß (oder für jegliche Reaktion) einfach viel zu langsam… Als „der schnellste Jogger der Welt“ grüßt man vermutlich erst ab einer Geschwindigkeit von 15 km/h aufwärts „am Berg“ oder so…
Apropos „wo der Hammer hängt“ – wie immer trug er auch heute sein viel zu enganliegendes, neon-leuchtendes Laufhöschen (keine Ahnung, wer ihm gesagt hat, dass das das sexy sei), die einfach „alles“ präsentiert, ob man es sehen möchte oder nicht…
Gut – in meinem Fall ist das ja in der Regel eher die „Von-Hinten-Ansicht“! Und das dazu auch nur sehr kurz, da er ja wegen seiner massiv hohen Geschwindigkeit wirklich immer nur sehr kurz für mich zu sehen ist!
Während ich mich also gerade innerlich darauf einstelle, gleich wieder überrundet zu werden und damit also auch das heutige „Wettrennen“ wieder zu verlieren, fiel es mir wie Schuppen von den Augen…
Er kann mich gar nicht überholen – nicht heute!
Der Weg an dieser Stelle im Wald ist circa einen Meter breit. Rechts und links sind Büsche und Bäume, sodass der von Angela Merkel gestern in ihrer Rede angeordnete, sinnvolle Mindestabstand von 1,5- 2m hier bei einer Überrundung keinesfalls haltbar wären. „Ha!“, dachte ich!
Das stimmte mich kurzzeitig sehr positiv und ich vergas für einen Moment alle Sorgen und die Existenzangst, die mich bis eben gerade noch so bewegt hatte.
Als er etwa 10 Meter hinter mir war, drehte ich mich also um und erklärte ihm freundlich, aber auch mit einem dezent panischen Unterton, dass ich ihn aufgrund der aktuellen Situation und der hohen Ansteckungsgefahr leider ganz dringend bitten müsse, mindestens zwei besser noch drei Meter Sicherheitsabstand einzuhalten und mich erst oben im Feld, wenn der Weg wieder breiter werden würde, zu überholen!
Der schnellste Jogger der Welt schaute etwas verdutzt drein, fügte sich aber dann etwas unwillig meinem Wunsch und lief die letzten 100 Meter des schmalen Weges in gebührendem Abstand und in meinem Tempo hinter mir her…
Am Ende des Waldwegs, kurz bevor er zur Überholung ansetzen konnte, rief ich so laut und so triumphierend wie ich nur konnte das Wort „ERSTER“!!!!
Ich unterstrich das Ganze gestisch noch mit einem Freunden-Sprung und schloss daran das aus Kindertagen erlernte Lied „Ich hab gewonnen, Du hast verloren“ an… (was ich im übrigen schon als Kind etwas grausam fand)…
Dann passierte es –
Lautstarkes und unendlich befreiendes Lachen schallte für ungefähr 30 Sekunden durch den bisher so unfassbar stillen Wald…
Nachdem wir uns wieder gefangen hatten, setzte sich der schnellste Jogger der Welt selbstverständlich sofort wieder in Bewegung! Über die Schulter rief er mir aber noch zu: „schönen Tag noch!“ – und grinste dabei über das ganze Gesicht.
Es dauerte nicht lange, bis er vor mir immer kleiner wurde und dann irgendwann in seiner viel zu enganliegenden, neon-leuchtenden Laufhose ganz und gar aus meinem Sichtfeld verschwunden war!
Nach meiner jetzigen Einschätzung, könnte es dazu kommen, dass der schnellste Jogger der Welt mich ab morgen grüßen wird…
Mir wird plötzlich klar, das wir trotz Allem was gerade passiert, immer noch viel mehr selbst in der Hand haben, als wir denken!
©2020 Corona Stories von Lucy Hobrecht und Romana Reiff