Thomas Bündgen über Matias Faldbakkens Roman „Wir sind fünf“.
Wer es noch nicht wusste, dem sei’s hier gesagt: das Grauen wohnt in Norwegen. Wie soll das auch anders sein in diesem schönen, reichen und gutem Land, in dem die üppigen Erdöl- und Erdgaseinnahmen nicht – wie üblich – in den Taschen einiger weniger Familienclans verschwinden, sondern gespart und investiert werden, damit kein Norweger jemals wieder arm sein muss. Und weil das Grauen des Lebens, das ja nie verschwindet, nicht im Offensichtlichen zu Hause ist, muss es sich unter der Oberfläche des Wahren und Schönen und Guten zeigen, nämlich im heilen norwegischen Familienleben, 300 km von Oslo entfernt, in einem Dorf, in dem die Welt ganz offensichtlich – oder auch gerade nicht – in Ordnung ist.
In seinem fünften Roman „Wir sind fünf“ schildert Matias Faldbakken (Jg. 1973) in zunächst einfach wirkender Sprache die Geschichte eines treusorgenden, wenn auch durch jugendliche Alkohol- und Drogeneskapaden gezeichneten Familienvaters, der aus Lust an der Gestaltung aus Lehm eine Figur erschafft. Dieser „Batzen“ entwickelt durch das WLAN der Familie zunehmend Fähigkeiten, die ihn zum nützlichen Hausangestellten machen.
Faltbakken, Sohn des berühmten norwegischen Autors Knut Faltbakken und sowohl als Künstler (Ausstellungen u.a. im Fridericianum in Kassel) wie als Schriftsteller weit über Norwegen hinaus bekannt, hat sich seinen Ruf mit der „Trilogie der skandinavischen Misanthropie“ erschrieben. In dieser stellt er die Schattenseiten der wohlgeordneten heilen Welt dar, die uns als Dunkles, spätestens seit der schwarzen Romantik als Fantastisches, nicht mehr unter Kontrolle zu haltendes, begegnet. So bewegt sich dieser Roman zwischen Science-Fiction, Schauer- und Familienroman.
Durch einen faustischen Pakt zwischen Tormod, dem Hauptprotagonisten, und seinem alten Freund und Versucher Espen wird unter dem Einfluss von Drogen, Alkohol und Heavy Metal ein Lehmklumpen geformt, der im Gegensatz zum Golem der jüdischen Mythologie nicht sein Volk schützt, sondern es mit Haut und Haar verschlingt. Neben Motiven der fantastischen Literatur, wie der Erschaffung neuen Lebens – eines Frankensteins oder eines Homunkulus – greift Faldbakken Momente der Kybernetik und der künstlichen Intelligenz wie beiläufig auf und verarbeitet sie literarisch. Faldbakkens wunderbar negative Anthropologie zeigt, wie schon in seiner „Trilogie der Misanthropie“, den Menschen als das was er ist, nämlich dumm, gierig und egozentrisch. Um es mit Buddha zu formulieren: Alles Leben ist Leiden, selbst in Norwegen. Hauptsache, wir können darüber lachen.
Matias Faldbakken: Wir sind fünf. Heyne Verlag, München 2020, 254 S., 22 Euro.
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