Tobias Pohlmanns Thriller „Der Geistreisende“, vorgestellt von Thomas Bündgen.
Tobias Pohlmann hat an seinem Erstlingsroman viele Jahre gearbeitet, wie er selbst im Nachwort schreibt. Nun, gelungen ist ihm auf jeden Fall ein ungewöhnliches Buch, welches die Genres Thriller, Science-Fiction und historischer Roman sowie etliche kluge Ideen miteinander mischt.
Ausgehend von der technischen Möglichkeit der Zeitreise geht es hier um die Jagd nach einem Medikament über die Jahrhunderte hinweg. Die Handlung spielt in der Gegenwart, der Pestzeit des 14. Jahrhunderts, in der Nazizeit und in der DDR. Der Autor hat sich Zeitabschnitte ausgesucht, in denen man selber lieber nicht gelebt hätte, in denen die Handlung aber durch allerlei Widrigkeiten vorangetrieben werden kann. Das Buch ist handwerklich gut gemacht und ausgezeichnet recherchiert (man siehe hier nur einmal die Beschreibung des Umgangs mit einem Mikrofilmlesegerät). Auch der Einstiegsplot lässt nichts zu wünschen übrig, wenn der Hauptprotagonist (und auch die Hauptidentifikationsfigur) bereits relativ am Anfang in eine drastische, existenziell gefährliche Situation hineingeworfen wird.
Die Handlung ist sehr spannend, die klassischen „Thrill“-Elemente werden gut genutzt, gleichzeitig lernt man – so man denn will – etwas über die beschriebenen Zeitabschnitte, die z. T. nicht sehr geläufig sind, wie etwa die Kleinkriege im Harz der Pestzeit im Spätmittelalter. Wenn auch Nazizeit und DDR wesentlich präsenter im Bewusstsein der Leser sein dürften, gewinnt die Handlung hier ihre Dynamik durch die Perspektive des „Bösen“, die der Zeitreisende einzunehmen gezwungen ist.
Das Buch lässt sich auch als eine Metapher auf das Fortwirken und die Präsenz der Geschichte in der Gegenwart lesen, letztere wird einem bei der Lektüre immer angenehmer. Geübte Krimileser hätten sich vielleicht eine dynamischere Entwicklung der Personen gewünscht, bleiben diese doch in der normativen Disposition ihrer Ersteinführung stehen. Aber wer eine klare Orientierung hinsichtlich Gut und Böse schätzt, wird dieses nicht bemängeln. Die ungewöhnliche Mischung der Genres ist mutig und begrüßenswert, man würde sich öfter die Überschreitung der letztendlich immer willkürlicher erscheinenden Genregrenzen wünschen.
Tobias Pohlmann: Der Geistreisende, Eigenverlag, Kassel 2022, 19,99 €
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