04.04.2020
Shiplive
Als ich gefragt wurde, ob ich einen künstlerischen Beitrag für die „Quarantäne Chronik“ leisten möchte, dachte ich erst einmal: Ach du Schreck, ich kann doch eigentlich gar nichts. Also nichts, was Frau einfach so präsentieren könnte, deswegen bin ich ja Regisseurin geworden. Ich kann anderen dabei zusehen, wie sie auf der Bühne glänzen, ihre Stärken hervorheben, um damit eine tolles, stimmiges Gesamtbild zu kreieren.
Seit dem Coronaausbruch frage ich mich natürlich, wie ich als Regisseurin und angehende Theaterpädagogin, also Jobs, die ohne die Präsenz von Menschen für mich einfach nicht denkbar sind, weiter meiner Berufung nachgehen kann. Umdenken ist auch hier gefragt. Also vielleicht doch der Leidenschaft fürs Hörspiel endlich mal so richtig nachgehen.
Mein letztes Hörspiel ist in Malaysia entstanden: „Dracula“.
Um Geld zu verdienen arbeite ich nämlich auch noch auf Kreuzfahrtschiffen als Theatermanagerin. Ja, da kann man jetzt sagen, dass das für meinen ökologischen Fußabdruck höchst zweifelhaft ist. Bedauerlicherweise ist dies der Kompromiss, den ich eingehe, um mir meine wenig einträgliche Kunst finanzieren zu können. Also sorge ich für weltreisende Touristen im 1000-Plätze-Theater für den reibungslosen Ablauf der Proben und Shows mit Artistik, Tanz und Gesang. Und bin irgendwie auch ein wenig Kindergärtnerin, wenn die italienische Dance Captain mit ihren Tänzerinnen diskutiert, wie viele M&Ms jede essen darf, damit die gerstenschlanken Hochleistungssportlerinnen nicht „zu fett“ werden (ja, das war tatsächlich die Wortwahl).
Natürlich gibt es viele Anekdoten aus dem Crewleben – werden die Kolleg*innen doch für 4 bis 9 Monate die Ersatzfamilie und -freunde weit entfernt von zu Hause.
Da ist zum Beispiel der Techniker, der in seinem Warning stehen hat – quasi die ein Jahr geltende Rüge bei regelwidrigem Verhalten -, dass er sich vor Angst bei der Kontrolle durch die Security in die Hose gepinkelt hat. Und das wurde in einer großen Besprechung vor allen wichtigen vorgesetzten Offizieren vorgelesen, selbst der Kapitän war unter einem Vorwand auch kurz da, weil er es so lustig fand. In Wahrheit ist ihm ein Getränk über die Hose gelaufen und als die Security dann die Party sprengte – Partys auf den Kabinen sind nämlich höchst verboten – war der Kollege gerade in der Nasszelle (man kann hier wirklich nicht von einem Bad sprechen) und wollte sich die Hose säubern. Nun war er da festgesetzt und hatte ein bisschen gehofft, er würde einfach so davonkommen, ohne entdeckt zu werden… nun ja… das hat nicht geklappt. Dafür ist er in der Flotte nun bekannt wie ein bunter Hund.
Oder der Croupier aus dem Casino, der jeden Abend die Karten am Black-Jack-Tisch gibt, sich unsterblich in die Barfrau verliebte und ihr dann im Theater mit Hilfe von der Entertainmentabteilung einen bombastischen Heiratsantrag vor 1100 Kolleg*innen gemacht hat.
Oder der Kellner aus dem Restaurant, der in der Crewshow „This is the moment“ aus „Jekyll und Hide“ so fantastisch gesungen hat, dass er sofort Standing Ovations vom zu Tränen berührten Publikum bekam.
Und dann gibt es natürlich noch ziemlich viele Menschen in der Küche oder der Wäscherei, die man gar nicht zu Gesicht bekommt. Höchstens vielleicht mal bei der zweiwöchigen Evakuierungsübung für die gesamte Besatzung.
All diese besonderen Menschen und viele andere, bei diversen Reedereien arbeitend, sitzen nun auf Kreuzfahrtschiffen fest, deren einziger Sinn es ist, Gäste von Stadt zu Stadt, von Land zu Land zu schippern. Die Gäste wurden inzwischen alle z.T. mit großen Mühen von Bord gebracht, aber viele Crewmitglieder müssen jetzt auf den Schiffen vor irgendwelchen Küsten ausharren oder überqueren gerade den Atlantik, 14 Tage lang, und wissen nicht, wann sie das nächste Mal wieder festen Boden unter den Füßen haben. Denn einmal in Europa angekommen, heißt es noch lange nicht, dass sie von Bord dürfen. Die Häfen sind geschlossen.
Einige Kollegen sitzen als illegale Einwanderer in Thailand fest, da bei der überstürzten Ausschiffung von 80 Prozent der Crew ein paar Pässe an Bord vergessen worden waren und das Schiff genötigt wurde, schnell den Hafen zu verlassen. Auch finanziell ist dies für viele philippinische, indonesische oder indische Familien ein Desaster.
Es wird noch einige Zeit vergehen, bis alle wieder zu Hause sind von ihren Irrfahrten und dort vielleicht vor dem Nichts und einer hungernden Familie stehen, es wird noch länger dauern, bis wieder Gäste in das schwimmende Zuhause auf Zeit kommen.
Auch wann die Theater wieder öffnen, ist ungewiss. Ebenso, wann die Schulen wieder öffnen und wann dann wieder Theaterworkshops von externen Theaterpädagog*innen mit den Schüler*innen veranstaltet werden, damit sie neben all dem Faktenwissen auch spielerisch soziale Kompetenzen und Selbstvertrauen erlernen und sehen, dass es nicht immer nur eine „richtige“ Lösung für eine Aufgabe gibt. So lange sitze ich zu Hause und höre mir Hörspiele an. Und schreibe neue.
Und während ich an „Dracula“ schneide, denke ich daran, wie ich vor der Premiere in Penang mit einem sehr lieben Kollegen und nun Freund einen Kopi Luwak – Katzenkaffee – getrunken habe. Eine schöne Erinnerung, die Jahrzehnte entfernt scheint.
Patrizia Schuster ist seit 2013 selbstständige Regisseurin und arbeitet neben Inszenierungen an Theatern mit freien Theatergruppen und Amateurtheatergruppen. 2010 bis 2013 begann sie als Regieassistentin am Staatstheater Kassel und zeigte sich in dieser Zeit für die Inszenierungen von „Der Kontrabass“ und „Fremd in Kassel. Ein theatraler Stadtspaziergang“ verantwortlich. 2019 organisierte sie die Hessischen Theatertage am Staatstheater Kassel. Ihr ist es ein Anliegen Theater und Kultur aus den gewohnten Kulturräumen zu holen und Kultur barrierefrei für alle zu ermöglichen. Sie ist regelmäßig als Theatermanagerin für Tui Cruises Entertainment an Bord der Mein Schiff-Flotte aktiv.
Zugabe!
Patrizia Schuster bietet einen Theaterworkshop exklusiv für Gäste der Virtuellen Bühne Kassel an!
Zwei Stunden lang könnt ihr euch mit typischen „Theaterspielen“ davon überzeugen, dass jede*r Theater spielen kann. Am Ende steht eine erste eigene kleine Improvisation. Entdeckt euren Spieltrieb!
-
10,00 €